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Explosionsmotoren
In die Herstellung eines Personenkraftwagens mit Explosionsmotor fließen circa 300000 Liter Wasser und 15 Tonnen Festmaterialien. Personenkraftwagen stehen für 80 Prozent der Personenbeförderung: Der Unterhalt eines sich nach Art eines Perpetuum mobile ständig wieder trockenlegenden Explosionsmotors erzeugt hohe Fixkosten, die hereingefahren werden, indem man den vermeintlich teuren öffentlichen Personenverkehr meidet wie Öl das Wasser.
[Hinzugefügt 5. März 2012]

Auf Öl und Fleisch fahren wir ab

Wenn die von der Sonne ausgehenden Photonen den dritten Planeten des Sonnensystemserreichen, erwärmen und beleuchten sie einen von seinen Bewohnern in einegigantische Tankstelle verwandelten Himmelskörper, dessen größte und amdichtesten bewohnte Häuser die Schlachthäuser sind.
Seitdem 16. Juli 2010 gilt die am 20. April 2010 im Golf von Mexiko unterhalb derÖlbohrplattform DEEPWATER HORIZON leckgeschlagene Tankstelle Erde alsrepariert. Bilder, Fragen und Aussichten bleiben virulent. Da ist zunächst dieFrage der Bilder verölter Wasservögel, medial allgegenwärtige Embleme dieserund vergangener Ölkatastrophen. Sie gehören zu den visuellen Störfaktoren deslangsam auslaufenden Erdölzeitalters. Doch warum zeigt man uns diese Fotos sohäufig und ausgiebig, oder: warum ertragen wir sie? Diese Frage stellt sich,weil wir andere visuelle Störfaktoren unserer Zivilisation sehr viel seltenerzu Gesicht bekommen oder uns wie ertappt, empört ob der Zumutung, abwenden,wenn zu viele Details und Hintergründe deutlich werden: Aufnahmen ausSchlachthöfen. Diese verdauen wir offenbar deshalb sehr viel schlechter als dieBilder ölverschmierter Vögel, weil wir uns im Falle der Aufnahmen ausSchlachthäusern, oder von Tieren die zu ihnen hintransportiert werden, sehrviel leichter als die Verursacher dessen begreifen, was wir da zu Gesichtbekommen.
Ölkatastrophen– mit ihren sterbenden und doch nicht sterbenwollenden ölverdrecktenWasservögeln, Stränden sowie strandlagernden Schildkrötenkadavern – passierennicht einfach. Zu einem Gutteil sind sie die Konsequenz vonKonsumentscheidungen. Sie werden herbeigefahren. Fast die Hälfte aller PKW-Fahrtenin Deutschland ist zu Ende, bevor die Wegmarke von fünf Kilometern erreichtist. Jährlich milliardenfach werden hierzulande die Motoren vonPrivatfahrzeugen angeworfen, um eine Strecke von weniger als einem Kilometerzurückzulegen.
Ölkatastrophenwerden auf ähnliche Weise herbeigefahren, wie die Zustände in derFleischindustrie herbeigegessen werden. Erdöl und Fleisch sollen preisgünstigsein und auch unter unhaltbaren Bedingungen – in unmittelbarer Nachbarschaftzur Katastrophe (Tiefenbohrungen) oder von Haus aus katastrophal(Massentierhaltung) – reichlich und preisgünstig zur Verfügung stehen. Dochscheint im Falle von Ölkatastrophen der kausale Nexus weniger deutlich zu sein,die Verantwortlichkeit weniger stark empfunden zu werden. Ein Indiz hierfür isteben der Umstand, dass Konsumenten die Bilder ölstarrender Vögel offenkundigschuldfreier ertragen als Aufnahmen blutverschmierter Vögel, Schweine undRinder, die aus den immer größer werdenden, immer hermetischer abgeriegelten,umzäunten und in Flutlicht getauchten Schlachtbetrieben an die Öffentlichkeitdringen.
DieVerantwortlichen dafür, dass wir im Anschluss an Katastrophen Bilderölverschmierter Vögel zu Gesicht bekommen, sucht man in der Erdölindustrie.Wobei ausgeblendet bleibt, dass das Anzapfen der Tankstelle Erde in stetsgrößeren Tiefen in unserem Auftrag geschieht. Schuld für Bilderblutverschmierter Tiere sucht man in vergleichsweise geringerem Maße bei derSchlachtindustrie. Insgeheim wissen Konsumenten darum, dass sie selbst dieAuftraggeber für billig produziertes Fleisch sind und nehmen damiteinhergehendes tierliches Leid oder die Entwaldung großer Flächen zwecks Anbauvon Futtermitteln zur Fleischmast billigend in Kauf.
Fürdie permanente Katastrophe im Innern von Schlachthöfen herrscht ein doppeltesBilderverbot in dem Sinne, dass einerseits niemand dort filmen darf undandererseits der Verbraucher durch Bildmaterial – wenn es doch einmal nachaußen dringt – nicht belästigt werden möchte. Für ölverschmierte Wassertierescheint es Vergleichbares nicht zu geben. Man sieht sich die Bilder an,bedauert die armen Kreaturen und verurteilt die „Verantwortlichen“, da man sichmoralisch auf der sicheren Seite wähnt. Dabei wird Erdöl nicht deshalb ausimmer größeren Tiefen unterhalb des Meeresbodens an die Meeresoberflächegefördert, weil die Besatzungen von Bohrinseln verwegene Abenteurer wären, die,umgepolten Bergsteigern gleich, immer größere Tiefen bezwingen wollten.Vielmehr handeln sie auf Geheiß großer Erdölgesellschaften in letzter Instanzim Auftrag von Konsumenten und gemäß ihrem Bedarf an auto-nomer Fortbewegung.Leicht zu erschließende Ölfelder werden rar. Insofern hilft es wenig, wennUmweltorganisationen dieser Tage Unterschriften sammeln, mit denen dieErdölindustrie aufgefordert werden soll, von Bohrungen tief unter demMeeresspiegel Abstand zu nehmen. Auftraggeber für Ölkatastrophen sind nichtzuletzt wir Verbraucher.
Gibtes Alternativen? Ja, die eingangs erwähnten von der Sonne ausgehenden Photonen,mit denen in Solarzellen elektrische Energie gewonnen werden kann und mit denenPflanzen Photosynthese betreiben und wachsen, um von uns verzehrt zu werden.Wir sollten uns mental vom Erdöl- und Fleischzeitalter mit seinen verheerendenAuswirkungen auf Mensch und Mitwelt verabschieden und mit Höchstgeschwindigkeithandelnd auf eine öl- und fleischarme solarenergetische Gesellschaft derLangsamkeit zusteuern. Denn Wachstumsraten wie wir sie aus den vergangenenzweihundert Jahren des Erdölzeitalters kennen, werden sich in der kommendenpost-fossilen Ära kaum erzielen lassen.
Nun leben wir längstnicht mehr nur in der Ära des Erdöls, sondern überdies imInformationszeitalter. Dass das Öl in unseren Tanks und das Fleisch auf unserenTellern massiv zum Ruin der Lebensbedingungen auf diesem Planeten beitragen,ist sattsam bekannt. Wie ist in Anbetracht dessen zu erklären, dass es beieiner Weltbevölkerung von 6,7 Milliarden Menschen nur 75 Millionen gibt, diesich aus freien Stücken vegetarisch ernähren und in Deutschland circa 50 Millionenmotorisierten Fahrzeugen regelmäßig der Tank leergefahren wird? Zumindest derdunkle Schatten einer Antwort lässt sich einem Experiment entnehmen, das denNamen seines Urhebers trägt: Milgram. Stanley Milgram förderte zutage, dass Versuchspersonen, die Folter und Gewalt aus tiefstem Innern ablehnen, in einersimplen Versuchsanordnung dazu gebracht werden können, anderen Menschen größteSchmerzen zuzufügen und sie letztlich zu töten, wenn ein autoritär auftretender„Versuchsleiter“ dies verlangt. Milgram fand heraus, dass nicht einmalmarkerschütternde Schreie (die in Wahrheit von Tonbändern abgespielt werden)aus einem Nebenzimmer die Versuchspersonen davon abbringen, dem vermeintlich imNebenzimmer anwesenden Dritten die schmerzhaften bis tödlichen Stromstößebeizubringen, wenn dieser in einem Gedächtnistest Karten falsch zuordnet. DenVersuchspersonen war vom Versuchsleiter erklärt worden, man wolle herausfinden,ob sich eine Bestrafung durch Stromstöße auf die Lernfähigkeit auswirkt. DerUmstand, dass nicht wenige Versuchspersonen auf Befehl des „Versuchsleiters“bereit waren, einer (in Wahrheit gar nicht vorhandenen) Person im Nebenzimmerstarke bis tödliche Stromstöße zu verpassen – und sich auch durch Schreie nichtdavon abhalten ließen, die Voltzahlen zu steigern –, gibt Anlass zuBefürchtungen: Auch wenn Menschen wissen (und hören), dass sie durch ihr Tunoder Unterlassen andere massiv schädigen, tun sie es, wenn eine Autorität diesgebietet. Verheerend ist nun, dass im Falle von Auto und Fleisch noch nichteinmal eine Autoritätsperson da ist, die das Umherfahren oder den Verzehrverordnen würde (der Grad an Freiwilligkeit ist höher, die Verursachungskettelänger). Allenfalls ließen sich die Macht der Gewohnheit, der soziale Statusoder Gruppenzwänge (die Scheu davor, Minderheiten anzugehören) alsunpersönliche Autoritäten deuten, denen man Folge leistet (sofern man dieProblematik nicht auf triviale Geschmackserlebnisse und Erlebnisqualitäten desUmherfahrens reduzieren will). Was bleibt, ist die Hoffnung, dass eine erstnoch zu schaffende neue Quantität und Qualität des Visuellen handlungsleitendwerden mag, um zu erreichen, was den Stimmen vom Tonband verwehrt blieb.


Weiterführende Literatur:

Altvater, Elmar
Das Ende desKapitalismus wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik, VerlagWestfälisches Dampfboot, Münster 2005

Holmes, Bob
What’s the beef with meet?
In: New Scientist,Ausgabe vom 17. Juli 2010, S. 28-31

Milgram, Stanley
DasMilgram-Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität, RowohltVerlag, Reinbek 1982

Welzer, Harald
Die Magie desWachstums. Warum unsere Kinder es einmal schlechter haben werden, Blätter fürdeutsche und internationale Politik, Juni 2010, S. 61-66

[Hinzugefügt am 14.9.2010]









Ein Gemälde des Malers Rethel,
Vorfahr des Warenform-
Denkform-Theoretikers
Alfred Sohn-Rethel


Alfred Polgar: Im Vorüberfahren
In: Kreislauf. Kleine Schriften Band 2
Wir überfuhren einmal einen Hasen, es ist schon lange her, aber sein Jammerschrei, als ihn die Kotflügel des Todesengels streiften, hat ein unverwischbares Engramm (Semon: 'Die Mneme') in meinem Organismus hinterlassen. Der Chauffeur stoppte, nahm den Schwerverwundeten bei den Hinterläufen, zerschlug ihm den Kopf am Kilometerstein (auch ein einprägsames Geräusch) und warf den Leichnam in den Werkzeugkasten.
[Hinzugefügt am 19.12.2009]

Von Schienen und Autobahnen
Zwischen 1990 und 2003 ist in Deutschland ein Rückgang der Gleiskilometer um 12 Prozent.zu verzeichnen, Busse und Zugabteile gingen um 14 Prozent zurück, Autobahnen wurden um elf Prozent ausgebaut.

2005 wurden in Europa 989000 große Geländewagen (SUVs) verkauft. Sie bringen für die Autokonzerne besonders große Gewinnspannen mit sich. 2010 sollen es pro Jahr 1,3 Millionen sein. Wenn nicht die Wirtschaftskrise dazwischenfährt. Und parallel zum Aufschwung bei den Wüsten- und Gebirgsfahrzeugen gibt es ja längst eine steigende Nachfrage für benzinsparende Kleinwagen.

Ganz gleich, was verkauft und gekauft wird, es wird mehr gefahren: 723 Milliarden Kilometer verfuhren deutsche Steuermänner und Steuerfrauen im Jahr 2003. Das sind 20 Prozent mehr als 1990.
[Hinzugefügt am 20. April 2009.
Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/2008, S. 116-118]

Autodestruktion.
Die Titanic geht jeden Tag zweimal unter

Das wesentliche Geschehen auf diesem Planeten scheint die Herstellung und die Betankung von Autos zu sein.

Gemäß einer Studie im Auftrag der Weltbank aus dem Jahr 2001 werden jährlich circa eine Million Menschen totgefahren. Kaum in Mitteleuropa! Die Rede ist von jenen Weltgebieten mit geringer Autodichte: Afrika, Asien, Lateinamerika, Naher Osten, Osteuropa. Auf diese Regionen fallen 89 Prozent aller Verkehrstoten, obgleich hier nur 35% aller Autos gefahren werden.

Auf den Tag umgerechnet:
Zwei Untergänge der Titanic
Acht Abstürze vollbesetzter Jumbos
28 Eisenbahnunglücke von Eschede


Der Mensch - das paramotile Wesen

Tiere bewegen sich fort. Der Mensch möchte sich fortbewegen, jedoch ohne sich dabei bewegen zu müssen. Fortbewegung ohne Selbstbewegung ist ein Fluchtpunkt neuerer Geschichte, der in die Autodestruktion und somit aus jeglicher Geschichte herausführen könnte: Etwa ein Drittel des von unserer Zivilisation bewirkten Ausstoßes an Kohlendioxid ist dem Verkehr anzulasten. Von diesem Drittel gehen vier Fünftel auf das Konto des Straßenverkehrs. Von diesen vier Fünfteln wiederum entstammt die Hälfte dem Auspuff eines PKW.
    Zur Veranschaulichung ein Blick nach Großbritannien: Der Konzern EON UK entließ 2005 26,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre – ein wenig mehr als ganz Kroatien im gleichen Zeitraum. Die fünf größten Kohlendioxid-Emittenten Großbritanniens (EON UK, RWE Npower, Drax, Corus, EDF) entließen 2005 mehr als 100 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Die 26 Millionen PKW Großbritanniens entlassen jährlich circa 91 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft.
    Da es keine nennenswerte Anzahl Menschen gibt, die bereit wären ihren Fahrdrang zu zügeln – nicht einmal dann, wenn die Zukunft der eigenen Nachkommen in die Ausweglosigkeit gefahren wird –, muss die paramotile Fortbewegung europaweit in einer Weise besteuert werden, die eine ökologische Lenkung zum Tragen kommen lässt. Benzinsteuern beinhalten per se einen ökologischen Impetus, Zulassungs- und KFZ-Steuern hingegen nicht. Denn die Höhe von Zulassungs- und KFZ-Steuern hängt nicht von den gefahrenen Kilometern ab. Zu fordern wäre insbesondere eine verbrauchs- und emissionsabhängige KFZ-Steuer.
(Für Näheres siehe David Adam, Rob Evans, Industry’s enormous impact on climate revealed. Five biggest polluters in Britain produce more carbon dioxide than all the country’s private cars, Guardian Weekly, 19.-25. Mai 2006, S. 9 / Margit Schratzenstaller, PKW-Steuern in Europa, Blätter für deutsche und internationale Politik, September 2006, S. 1131-1133)
[21. November 2006]

Fahren trotz Gefahren
Gefahren werden herbeigefahren. Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto in den Kindergarten bringen oder zur Schule fahren – weil es in Ansehung all der Autos zu gefährlich ist, sie mit dem Rad fahren zu lassen –, sind längst legendär und Legion.

Sollte es tatsächlich dazu kommen, dass im Jahr 2030 etwa 2,3 Milliarden Autos umherfahren (wie vom Heidelberger Umwelt- und Prognose-Institut geschätzt), so wird es noch gefährlicher: Eine beschleunigte Vermehrung der Autos und des Ausstoßes von Kohlendioxid könnte dazu führen, dass die Temperaturen in verschiedenen Weltgegenden bis zum Jahr 2100 um mehr als 5° Celsius ansteigen. Mit allen häufig geschilderten Konsequenzen, insbesondere Überschwemmungen. Zeit für die Bewohner westlicher Industrienationen, sich ein Fahrtenkonto einzurichten.

Sind Biokraftstoffe ein Ausweg? Kaum: Würde die autofahrende Weltgemeinschaft ihr Heil in Biokraftstoffen suchen, müssten die Regenwälder Lateinamerikas (für den Anbau von Sojaöl) und Asiens (für den Anbau von Palmöl) gerodet werden, damit entsprechende Anbauflächen zur Verfügung stünden.

Lockruf von Fleisch und Auto
„Wie soll man Leute veranlassen, auf ihrem erbärmlichen Stück Land zu bleiben, wenn diese erst einmal erfahren haben, dass Städter Fleisch essen?! So etwas würde ein Ausmaß an Repression erfordern, das die postmaoistischen Chinesen wahrscheinlich nicht hinnehmen würden, ein Maß an Unterdrückung, dass die Machtstruktur des Landes erschüttern könnte.“ (Bill McKibben, Die China-Story, Blätter für deutsche und internationale Politik, August 2006, S. 943-958, S. 955). „Ach ja, und die Autos! Vor zehn Jahren gab es praktisch keine. »Fahrer« war ein Beruf – man fuhr Parteifunktionäre in einer großen schwarzen Limousine herum. Heute ist China drittgrößter Automarkt der Welt. Und die Nachfrage steigt rapide. Allein im Jahr 2005 lieferten die Autofabriken an die sechs Millionen Fahrzeuge aus.“ (Ebd. 954) „Aber auch wenn dort 2005 sechs Millionen Autos verkauft wurden, waren das doch elf Millionen weniger als in den Vereinigten Staaten – bei einer viermal größeren Bevölkerungszahl.“ (Ebd. 956)
[7. November 2006]


Bürgerkrieg in der EU und den USA
Im Westen tobt ein sehr einseitiger Krieg mit Tausenden Toten Jahr für Jahr, von dem kaum jemand Notiz nimmt: Auf den Straßen der EU und denen der USA werden monatlich jeweils etwa 3400 Fußgänger bei Zusammenstößen mit Fahrzeugen getötet. Immerhin denkt man jetzt darüber nach, Fahrzeuge mit Aufprallvorrichtungen zu versehen, die Fußgängern das Leben retten können. Eine entsprechende Technik wird entwickelt.
[27. April 2009. Quelle: New Scientist, 18. April 2009, S. 18]


Autos im Fahrradlicht

Die Geschichte der Kultur ist eine Geschichte der Umwege. Dies gilt auch für die Kultur der Fahrrad-Stellplätze. Wahrscheinlich wäre keine Stadtverwaltung je auf den Gedanken gekommen, so viele Abstell-Plätze für Fahrräder aufzustellen, wie sie in Gestalt von Metallbügeln zum Schutz der Bäume de facto existieren. Wäre mit dem Vorgang des Einparkens von Autos nicht die Möglichkeit gegeben, die Rinde der Baume empfindlich zu verletzen - die Radfahrer entbehrten vieler sicherer Schließplätze. Autoliebhaber könnten demnach über ihr Liebstes verbreiten, dass selbst bei den Negativfolgen der Fahrerei noch etwas Positives abfällt: Stellplatze für Fahrräder. Von Metallbügeln umringt, werden Bäume davor bewahrt, dass ihnen das heilige Siegel der Stoßstange aufgedruckt wird. Denn heilig muss etwas sein, dessen Abfallprodukt, Umweg der Kultur, von uns (Radfahrern) noch gewünscht und aufgesucht wird. Diesem Prozess, dass etwas aus der Dimension des Heiligen entlassen wird, um sodann zweckentfremdet profane Dienste zu leisten, begegnen wir nicht nur im Zusammenhang des Zur-Ruhe-Kommens der Autoheiligkeit, sondern auch bei Schrift, Münzgeld und Räderuhr. Dabei, dass große Kulturgüter (und ein solches Gut ist der Fahrradabstellplatz) oftmals nicht direkt gewollt werden, sondern irgendwie gelingen, scheint es sich also um eine allgemeine Tendenz zu handeln. Ein Blick auf die Herkunft von Schrift, Münzgeld und Räderuhr bestätigt dies. Im Anschluss daran wird nach der Herkunft der Fließbandproduktion von Autos zu fragen sein - wodurch das Auto endgültig entheiligt werden dürfte.

Nicht in der Verzweiflung gedächtnismäßig überlasteter sumerischer Funktionäre liegen die Anfänge der Schrift, sondern in der Kommunikation von Menschen und Gottheiten: Zeugnisse des siebten vorchristlichen Jahrtausends aus einer alteuropäischen Hochkultur um das heutige Belgrad zeigen, dass es sich bei der alteuropäischen um eine religiös motivierte Sakralschrift gehandelt hat. Anfänglich dürfte es sich bei der Schrift um ein von Priestern eifersüchtig gehütetes Geheimnis gehandelt haben: erst später wurde sie in das alltägliche Leben entlassen. Analog geschah die Erfindung des Münzgeldes im griechischen Ionien (um 600 v. Chr.) nicht zwecks Erleichterung des Warenverkehrs. Sondern die Münze wurde eingeführt als Stellvertreter von Opfern, die vordem noch im Original dargebracht worden waren. Im Zusammenhang des Opfergeschehens der Tempel war die Münze das Eigentum eines Gottes. Freilich eroberte sie, aus dem religiösen Zusammenhang entlassen, bald die Herzen der Menschen und wurde zum allgemeinen gesellschaftlichen Bindemittel. Zeit ist wie Geld: Im Spätmittelalter, wahrscheinlich zwischen 1270 und 1300, wurde in Europa die Räderuhr erfunden. Früheren Uhrtypen gegenüber zeichnet sich die Räderuhr dadurch aus, dass das Räderwerk mit den Uhrzeigern von einem Gewicht angetrieben wird, wobei die durch das Gewicht ausgelöste Bewegung durch eine mechanische Hemmung getaktet wird. Resultat dieser gehemmten Bewegung der Uhrengewichte ist die Gliederung der Zeit in gleichartige Abschnitte: Das Fließen von Minuten und Sekunden. Die Räderuhr - und damit die moderne Zeitmessung schlechthin - ist aller Wahrscheinlichkeit nach in einem Mönchskloster erfunden worden. Peinliche Einteilung der Zeit, zum Lobe Gottes, war zuerst ein Moment religiöser Beflissenheit gewesen. In den Klöstern gehegt und gepflegt, wurde die Zeit schließlich als mündige Räderuhr in das Wirtschaftsleben der anhebenden Neuzeit entlassen. Wer also an der gehetzten Zeit der Neuzeit leidet und sich nach der Beschaulichkeil klösterlichen Lebens zurücksehnt, findet dort gerade die Geburtsstätte seines Leidens.

Jetzt möchte ich nach der Herkunft der Massenware "Auto" fragen. Als Massenartikel setzt es das voraus, was mit der Eroberung der Welt durch die Räderuhr gegeben war: gleichmäßiges Fließen. Im Falle des Automobils geht es um das Fließ-Band. Die Organisation der Massenproduktion auch - und gerade! - des Autos, hat ihren Urtypus in den Schlachtereien. Das Fließband wurde von den Schlachthäusern bis zur Autoindustrie entwickelt, weshalb zu konstatieren ist: Die industrielle Fließbandherstellung des Autos verdankt sich der Produktionsweise fortgeschrittener Schlachthöfe, von denen die Mechanisierung und Neutralisierung des Tötens bekanntlich ihren Ausgang nahm. Anstoß für die Einführung des Fließbandes war, lange vor Henry Fords (1863 - 1947) Wirken, die Mechanisierung der Großschlachtereien Cincinattis und Chikagos (um 1870). Entscheidend war dabei das Hochlegen der Fördergleise vom Fußboden in die Deckenzone. Die an einer endlosen Kette aufgehängten Tierleiber werden auseinandergenommen, während in der Autofabrik zusammengesetzt wird. Für das Fließbandprinzip ist diese Differenz gleichgültig. Laut S. Giedion (vgl. sein Buch "Die Herrschaft der Mechanisierung") ist es schwierig, die Entstehungsgeschichte des Fließbandes nachzuvollziehen. Es fehlen die entsprechenden Dokumente, was den Beginn der Mechanisierung des Metzgerhandwerkes und damit die Frühzeit des Fließbandes angeht. Warum? Nun, wahrscheinlich schämte man sich in der Urzeit des Fließbandes noch, als Quelle des eigenen Reichtums die Schweineschlachtung angeben zu müssen. Ob sich in der Frühphase der Massenproduktion von Autos die Fabrikherren wohl ebenfalls geschämt haben? Zur Urgeschichte des Massenartikels Auto gehört die Massenschlachterei: Von dieser Urschuld, derentwegen mancher Reicher Cincinattis sich geschämt haben mag, wird das Auto sich vermutlich nie befreien können. Längst schon ist ja nicht mehr nur das arme Schwein Objekt der Schlachtung, sondern der am Schwein erarbeitete Produktionsprozess griff auf das Auto über und sein innerstes Wesen ergreift den Menschen. Der Mensch ist seinerseits Objekt einer Massenschlachtung geworden. Zahlenmäßig werden jährlich bekanntlich allein in Deutschland ganze Kleinstädte durch den Autoverkehr ausgerottet. "Der Apfel fallt nicht weit vom Stamm", so ein Sprichwort; und so ist es auch beim Auto. In seiner Massenhaftigkeit verdankt sich das Auto der Verfahrensweise der Schlachthöfe. In den Schlachthöfen wurde der Versuch unternommen. den Tod zu neutralisieren. In der durchmechanisierten Autofabrikation kommt der Tod - abgesehen von Betriebsunfällen - überhaupt nicht mehr vor. Aber losmachen von der Massenschlachtung kann sich das massenhafte Auto nicht. Es verlagert die Tötung bloß aus den Werkshallen nach draußen, auf die Straßen der ganzen Welt, wo statt Schweinen und Rindern Menschen sterben – en masse. Und die Straße duldet keine Unterbrechung. ebenso wenig wie das Fließband. Noch auf der Straße scheint dem Auto seine Fließbandhaftigkeit anzuhängen, Das Ideal des Autoverkehrs ist das Fließen. Doch um gleichzeitig in verschiedene Richtungen „fließen“ zu können, muss der Verkehr in den Städten unterbrochen, getaktet werden: mit Hilfe von Ampeln. Dass diese bevorzugte Orte von Unfällen sind, ergibt sich aus der Unduldsamkeit des Fließbandes gegen Unterbrechungen. Als Verlängerung des Fließbandes transportiert die Straße den Schlachthof in die Öffentlichkeit und entheiligt so das menschliche Leben. Auf die Fahrbahn geratene Menschen stellen Bedrohungen des Fließgleichgewichtes dar, die nicht hingenommen werden. Als Bedrohungen werden diese Menschen. wir lesen darüber täglich in den Zeitungen, sehr wohl "erfasst". Rentner, Ranzenträger und Radfahrer werden nicht etwa ignoriert, sie werden erfasst. Von einem PKW erfasst werden. das hört sich an wie: Bei einer Volkszählung gezählt, von der Polizei gestellt worden sein oder dem Jäger in die Falle gelaufen. Aber der Mensch ist doch kein armes Schwein, das Schwein ist bloßes Objekt der Massenschlachtung. Der Mensch ist ihr Subjekt und Objekt zugleich - seiner eigenen Massenschlachtung! Subjekt und Objekt des Todes zu sein, woher ist dies bereits bekannt? Zunächst ist da der Selbstmord: eine einzelne Person ist Subjekt und Objekt ihres eigenen Tötens. Im Krieg ist der Mensch in einem sehr viel allgemeineren Sinne Subjekt und Objekt des Tötens. Ebenso ist der Mensch zugleich Subjekt und Objekt im Hinblick auf Massenverkrüppelung, Massentod und klimatische Katastrophen, die umso häufiger werden, je schwerer es immer mehr Menschen fällt, sich im Leben endlich auf eigene Beine zu stellen, statt in einem vierrädrigen Rollstuhl mit Auspuff und Klimaanlage bis an die nächste rote Ampel zu fahren.

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