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KARNISTISCHES MANIFEST

Ich bin Karnist*. Dieser Ausdruck kommt von dem lateinischen Wort für Fleisch: caro, carnis. Karnist zu sein bedeutet, dass ich eine Entscheidung getroffen habe: Obwohl ich weiß, dass Menschen auch ohne Fisch und Fleisch sehr gut leben können, habe ich mich dazu entschlossen, weiterhin Tiere zu essen.
Es gibt da neuerdings einen vornehmen Ton unter Vegetariern: Man dürfe uns Fleischessern nicht bildhaft vor Augen führen, was wir bewirken, wenn wir Fleisch kaufen und essen. Die in Vereinen organisierten Vegetarier wollen uns mit Lammfellhandschuhen anfassen und uns vor allem keine grausamen Bilder aus den Schlachthöfen zeigen. Damit unsere ach so empfindlichen Seelen keinen Schaden nehmen. Hat man denn vergessen, dass wir alle gemeinsam im Informationszeitalter leben? Wir Karnisten sind nicht dümmer oder schlechter informiert als Vegetarier und wissen recht genau, was wir in Kauf nehmen.
Von überall her wird es mir zugetragen: Fleischessen sei schlecht. Aber Fleisch schmeckt mir nun einmal gut. Dieses Gute kompensiert alles Schlechte, weshalb ich es weiter essen werde.

Ich erkläre mich:
Zwar versucht die Fleischindustrie, die Grausamkeit des Schlachtens vor den Konsumenten zu verbergen. Aber wir wissen doch längst Bescheid: Es steht alles in den Zeitungen und sogar in den Fernsehnachrichten zeigt man uns, was im Innern von Schlachthöfen vor sich geht. Bei vier bis neun Prozent aller Rinder ist die Betäubung vor dem Schlachtvorgang nur mangelhaft oder gar nicht vorhanden. Von den 58 Millionen getöteten Schweinen sind 10-12 Prozent mangelhaft oder nicht betäubt. Da ich die entsetzlichen Schmerzen eines lebendig gekochten Schweins oder eines lebendig zerteilten Rindes nicht fühle, bin ich nicht betroffen, weshalb eine vegetarische Ernährung für mich nicht in Frage kommt.
Deutschland hat sich im Segment der Schweineschlachtung mit knapp 60 Millionen getöteten Tieren pro Jahr seinen europäischen Spitzenplatz mühsam erkämpft. Und nur in Frankreich werden mehr Rinder getötet. Ich jedenfalls sorge dafür, dass wir spitze bleiben!
Da ich auch in Zukunft Rindfleisch kaufen werde, bin ich damit einverstanden, dass für die Herstellung von einem Kilo Rindfleisch durchschnittlich 15.000 Liter Wasser verbraucht werden. So viel Wasser muss nun einmal für die Bewässerung der Futterpflanzen aufgewendet werden. Mit jedem Fleischkauf begünstige ich irgendwo „Wasserstress“. Aber leiden wir nicht alle unter Stress? Warum sollte das Grundwasser hierzulande oder ein Bauer in Fernweg keinen gesunden Stress bekommen?
Solange ich mir Flaschenwasser leisten kann, ist es mir relativ egal, dass das Grundwasser mit Nitraten und Phosphaten belastet wird, die aus Gülle und Düngemitteln stammen, die in der Massentierhaltung anfallen.
Als Fleischesser diene ich anderen Menschen sogar als ein gutes Vorbild. Derzeit sind immer noch ein Drittel oder ein Viertel aller Inder Vegetarier. Aber es werden weniger, denn sie orientieren sich an den Essgewohnheiten von Personen wie mir. Gemeinsam werden wir es schaffen, die weltweite jährliche Fleischproduktion von momentan erst 300 Millionen Tonnen auf 470 Millionen Tonnen im Jahr 2050 zu erhöhen. Not macht erfinderisch: Auch wenn momentan niemand sagen kann, womit all die zu schlachtenden und zu verspeisenden Tiere gemästet werden sollen – im Jahr 2050 werden wir eine Lösung haben. Klar ist schon jetzt: Die Anbauflächen und das Getreide, das die Milliarden Tiere beanspruchen, fehlen den Menschen. Selber schuld! Sollen sie sich doch Fleisch kaufen.
Dass es richtig ist, Fleisch zu essen, sieht man übrigens allein schon daran, dass es in den meisten Schulen und Kantinen täglich Fleischgerichte gibt und nur selten oder wenige vegetarische Gerichte. Und als Mensch bin ich nun einmal ein sehr soziales Wesen: Ich tue das, was die meisten anderen machen, ohne groß zu fragen, ob es richtig oder falsch ist.
In den Tiermagen gehören Mais, Hafer, Hirse, Roggen und Gerste. 57% der Welternte dieser Getreidesorten gelangen momentan in Tiermägen, statt Menschen zu ernähren. Mit jedem Fleischkauf entziehe ich weniger wohlhabenden Menschen dringend benötigte Ackerflächen und Ernteerträge. Aber es schmeckt mir nun einmal, und ich lebe in einer Demokratie, in der ich essen kann, was ich will, solange ich anderen damit keinen Schaden zufüge.
Weil ich, meine Kinder, Verwandten und Freunde auch künftig Fleisch essen wollen, ist es außerdem nur gerecht, dass 70% der Äcker und Weiden weltweit zum Zweck der Tierfütterung bewirtschaftet werden.
Aus diesem Grund beteilige ich mich auch künftig aktiv an der Zerstörung des Amazonas-Regenwalds, damit auf den entwaldeten Flächen Rinder weiden können und möglichst viel Soja als Kraftfutter angebaut und nach Europa verschifft werden kann. Indem ich brasilianisches Rindfleisch kaufe oder das Fleisch von Tieren verzehre, die mit dort angebautem Soja gemästet wurden, helfe ich den dortigen Menschen. Denn der brasilianische Großbauer, der den Urwald rodet, kann die Erlöse aus dem Holzverkauf in die Viehzucht stecken, sodass es am Ende nur Gewinner gibt: ihn und mich.
Meine Entscheidung für den Fleischverzehr ist zugleich eine Entscheidung für den Klimawandel, hin zur allgemeinen Erderwärmung: Um ein Kilo Rindfleisch zu erzeugen, werden circa 25 kg des Treibhausgases Kohlendioxid in die Luft gepustet; Fleisch aus Südamerika bringt es auf 59 kg. Berücksichtigt man das verlorengegangene CO2-Speicherpotential gerodeten Regenwaldes, sind es sogar 330 kg Kohlendioxid pro Kilogramm Rindfleisch. Mein Fernziel ist es, Grönland vollständig zu enteisen, damit die Insel endlich ihren Namen verdient: Grünland. Einmal abgetaut, hat die Insel das Potential für vielleicht eine Milliarde Nutztiere!
Zwar grasen „meine“ Herden den Boden ab und trampeln ihn fest, sodass er unbrauchbar wird und sie sorgen für Bodenerosion. Aber Mutter Erde denkt mit: Sie erwärmt sich, damit wir zur Fleischproduktion mittelfristig nach Grönland und langfristig auf den Mars ausweichen können, um den Roten Planeten zu begrünen.

Wer auch nur einen einzigen Punkt dieses karnistischen Manifests nicht unterschreiben und zu Hause bleiben möchte, der soll doch zu den Vegetariern gehen!

*(Der Begriff „Karnismus“ ist ein von der Psychologin Melanie Joy geprägter Neologismus.)

Literatur
Fleischatlas 2013 und 2014, ein Kooperationsprojekt von Heinrich Böll Stiftung, BUND und LE MONDE diplomatique.

[Der Autor dieses Manifests lebt vegan. Hinzugefügt am 5. Februar 2014]

Theologische Zoologie
Leserbrief vom 29.12.2009 zu Rainer Hagencord, interviewt von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, erschienen am 23.12.2009

Jesus legte seinen Zeitgenossen nahe, auf Familie und Nachkommen zu verzichten, also auf die wichtigsten Gebote jüdischer Gemeinschaften seiner Zeit. Er veränderte die Welt, obwohl seine Lehre schon bald verwässert wurde: Von den frühen Christen wurden auch weiterhin Menschen gezeugt, die einander und Milliarden wehrlose Tiere quälten und schlachteten. Herr Hagencord möchte durchaus „einen Perspektivenwandel herbeiführen...“ Weil nun aber Jesus kein Vegetarier gewesen sei, sieht er sich nicht in der Lage, den Aufruf zum Vegetarismus – und damit zur Minderung tierlichen Leids – zu unterschreiben, den der Interviewer der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ihm geradezu in den Mund legt. Ruft denn Herr Hagencord dazu auf, Eltern und Nachkommen allein zu lassen, weil Jesus einst dazu aufrief? Gewiss nicht. Schließlich leben wir in einer ganz anderen Epoche; das Jüngste Gericht kam nicht. Welche Rolle spielt es also, ob Jesus Vegetarier war, wenn wir seinem Tun und Unterlassen ohnedies nicht Folge leisten?
Statt in der Nachfolge Jesu einen Perspektivenwechsel herbeiführen zu wollen, beschränkt sich Herr Hagencord darauf, „Ehrfurcht zu haben und zu fragen, wie die Tiere gelebt haben, die ich da esse.“ Die Antwort auf diese Frage: Fast alle Tiere, deren Kadaver so gern verspeist werden, haben Schreckliches durchlebt und gelitten. Ist den gemarterten Kreaturen etwa geholfen, wenn das Wort EHRFURCHT jede meiner Kaubewegungen begleitet?
Laut Herrn Hagencord wimmelt es in der Bibel „von Hinweisen auf die Würde von Tieren. Früher haben das die Menschen verstanden, aber in der Neuzeit ist der Blick verlorengegangen.“ Diese Behauptung zieht einige Fragen magnetisch an: Die Bibel umfasst Altes und Neues Testament. Wo aber wimmelt es im Neuen Testament von Hinweisen auf die Würde der Tiere? Im Alten Testament lässt Gott fast die gesamte Schöpfung jämmerlich ersaufen. Einen Teil der Tiere aber rettet er auf die Arche, doch nur, um wiederum einen Teil zu opfern. „Und der HERR roch den lieblichen Geruch...“ Gefällt der göttlichen Nase der Geruch von verbranntem Fleisch? Und der Herr spricht weiter: „Furcht und Schrecken vor euch sei über allen Tieren auf Erden... Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise.“ (1. Buch Mose)
Warum hat Herr Hagencord die ihm gebotene Chance nicht genutzt und gegen diese gottgewollte Schreckensherrschaft aufbegehrt? Warum begehrt er als Theologe, Gottesdurchdenker, nicht gegen diesen allmächtigen und alles im Voraus wissenden Märchengott auf, der die Schöpfung doch am besten ganz unterlassen hätte? Fürchtet sich der Zootheologe vor dem jüngsten Gericht, das doch in Wahrheit nichts weiter ist, als die letzte Fleischmahlzeit auf seinem Teller? Und er sollte sich davor fürchten, moralisch: Denn eine Carnedizee, eine Rechtfertigung des Fleisches auf unseren Tellern, kann es in Ansehung nichtfleischlicher Alternativen nicht geben.
Und was, bitte, haben die Menschen früher verstanden, welcher Blick ist erst in der Neuzeit verlorengegangen? Sind die Marterspiele mittelalterlicher Christen mit Tieren als Zeugnisse eines verlorengegangenen Wissens anzusehen? Ebenso wie der Brauch, lebendige Katzen am Johannistag ins Feuer zu werfen? Solange das wohlfeile Wort EHRFURCHT geeignet ist, den brutalen Fleischkonsum zu sanktionieren, kann die gepeinigte Kreatur darauf verzichten. Was nottut sind Aufrufe zum Vegetarismus und – Gnade!
[Hinzugefügt am 31.10.2010]







Grigorescu:
Waldlichtung

Weihnachten bis Neujahr, Hochzeit des Fleisches, über das Tolstoi sagte, es werde Kriege geben, solange man es genießt, statt es abzulehnen. Die Gleichzeitigkeit von Schlachtung und Schlacht schildert Mathias Énard in seinem Roman ZONE (Actes Sud 2008, S. 45)
Les Serbes ont commencé a répliquer, on percevait les départs des mortiers juste devant nous, des 80, on allait finir bloqués là entre deux feux sans dîner, il devait être près de minuit on a fait le tour de la baraque avec précaution et dans l’éclair d’une déflagration proche nous avons découvert une truie énorme coincée dans un corral improvisé, affolée par les obus elle tournait en rond comme une oie Andrija s’est mis à rire, à rire tant et plus, comment va-t-on porter ce mastodonte il va falloir le découper sur place, il s’est approché de la bête a tiré sa baionette la truie a essayé de le mordre et s’est mise à couiner quand le couteau a entaillé sa graisse, le fou rire m’a pris aussi, malgré le bombardement, malgré les tchetniks qui devaient penser à la préparation d’un assaut j’avais devant moi un soldat noir de boue trempé un poignard à la main en train de courir après un animal affolé dans le fracas des explosions.
Übersetzung:
Direkt vor uns begannen die Serben, mit Schüssen aus 80er Mörsern das Feuer zu erwidern. Am Ende würden wir noch ohne Abendessen zwischen den Fronten ausharren müssen. Es musste gegen Mitternacht sein, als wir vorsichtig um die Baracke herumgingen. Und im Widerschein einer nahen Explosion entdeckten wir, eingezwängt in eine behelfsmäßige Bucht, eine Sau von ungeheuren Ausmaßen. Von den Granateinschlägen völlig kopflos, drehte sie sich wie eine aufgeregte Gans im Kreis. Andrija begann zu lachen, er lachte und lachte: Wie sollte man dieses Mastodont fortschaffen? Man würde es an Ort und Stelle in Stücke schneiden müssen. Er näherte sich dem Biest und zog sein Bajonett. Die Sau versuchte ihn zu beißen und begann zu quieken, als das Messer ihr Fett teilte. Jetzt ergriff dieses wahnsinnige Lachen auch mich, ungeachtet des Bombardements, ungeachtet der Tschetniks, die an die Vorbereitung eines Angriffs denken mussten. Vor mir hatte ich einen schwarzverschlammten und völlig durchnässten Soldaten, einen Dolch in der Hand, der inmitten des Schlachtgetöses ein völlig verängstigtes Tier verfolgte.
[Hinzugefügt am 24.12.2009]







Aufgenommen
im Wendland
im Februar 2008

Schreiben vom 6. September 2009 an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages und das Bundesministerium der Finanzen im Rahmen einer PETA-Kampagne:
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Sehr geehrte Damen und Herren,
jedes Sück Fleisch, das der Bürger kauft, beeinträchtigt die
Lebensqualität künftiger Generationen, die zu sichern Aufgabe der Politik
ist. Die Zusammenhänge zwischen Fleischproduktion und Zerstörung
unserer Lebensgrundlagen muss niemand mehr erläutern, sie werden täglich
in der Presse und in wissenschaftlichen Magazinen dargestellt.
Die Politik hat die Möglichkeit, gegenzusteuern: Bitte passen Sie den
Mwst.-Satz für Fleisch/-produkte an den Regelsatz an. Der Fleischkonsum
mit seinen zerstörerischen Auswirkungen wird dann zurückgehen. Bürger
werden vermehrt gesündere pflanzliche Nahrungsmittel konsumieren.
Einer großen Anzahl Tieren bleibt unermessliches Leid erspart.

Mit freundlichem Gruß
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Schreiben an den Botschafter der Volkrepublik China vom 6. September 2009:
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Sehr geehrter Herr Botschafter!

in seiner Rede in Kairo am 4. Juni 2009 sagte US-Präsident Obama, moslemische Gesellschaften hätten unter anderem den magnetischen Kompass und die ersten Druckverfahren erfunden.

Wer sich nur ein wenig in der Geschichte auskennt, weiß, dass die chinesische Kultur diese Erfindungen gemacht hatte, lange bevor der Islam den Plan der Geschichte betrat.

Mit vielen anderen Bürgern frage ich mich, warum uns aus China immer wieder Berichte über die schreckliche Behandlung von Millionen von Hunden und Katzen erreichen, deren Fell zu Pelzen verarbeitet wird.

Bitte unterstützen Sie in China die Formulierung eines Tierschutzgesetzes, das die erschreckende Behandlung von Tieren verbietet, wie wir sie in Filmen immer wieder zu sehen bekommen. Ich will gar nicht behaupten, dass der Blick in einen deutschen Schweinestall nicht ebenfalls schrecklich ist. Aber es wäre doch wunderbar, wenn China den Westen in Fragen des Respekts vor lebenden Wesen einholen würde und der Westen auch auf diesem Gebiet wieder von China lernen könnte!

Mit freundlichem Gruß

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Leserbrief zu ESST WENIGER FLEISCH! WAS DER MASSENKONSUM IN DEUTSCHLAND ANRICHTET (Stern Nr. 22, 27. Mai 2010)

Vielen Dank für die überfällige Aufklärung darüber, warum keine andere straffreie Tat so unmenschlich ist und so schlimme Folgen hat wie der Kauf eines Stücks Fleisch.


Falsch ist allerdings die Vorstellung, erst der Fleischkonsum unserer Vorfahren habe unser Gehirn wachsen lassen. Ein Menschenhirn wiegt 1,3 bis 1,5 kg. Ein Elefantenhirn wiegt circa 5 kg. In der Evolution "wuchs und wuchs" das Elefantenhirn, ohne dass die Vorfahren heutiger Elefanten jemals begonnen hätten, Fleisch zu essen. Und auf dem indischen Subkontinent ist Fleisch heute noch die Ausnahme, trotzdem gibt es in Indien jede Menge schlaue Leute, deren Hirnen  Jahrtausende der Fleischlosigkeit offenbar nichts anhaben konnten. Für uns gilt das gleiche wie für alle anderen Pflanzenfresser: Nachdem wir als Kleinkinder von der Muttermilch entwöhnt sind, brauchen wir keine tierischen Proteine mehr. Wozu haben wir unser Hirn, wenn nicht dazu, dies ein- für allemal zu begreifen?
[Hinzugefügt am 1. Juni 2010]


„Mit der Beschreibung der Tierquälereien, die viele Millionen Tiere schon vor der Schlachtung und während der Schlachtung zu ertragen haben, könnte man Bücher anfüllen. Die Meinung, dass durch dieBekämpfung dieser Tierquälereien das Fleischessen zu einer harmlosen Sachegemacht werden könne, ist beinahe ebenso töricht wie die, dass durch das RoteKreuz und durch völkerrechtliche Vereinbarungen über die Mittel derKriegsführung die Grausamkeit des Krieges beseitigt werden könne.“
Magnus Schwantje
[Hinzugefügt am 15. Juni 2009]

20 Billionen Dollar Ersparnis statt Schweinegrippe

Würde jeder nur noch 70 Gramm Fleisch pro Woche essen, so würden sich die Kosten zur Bekämpfung des Klimawandels um 20 Billionen Dollar reduzieren. So Elke Stehfest vom Netherlands Environmental Assessment Agency.

      [Quelle: New Scientist, 14. Februar 2009, S. 6. Hinzugefügt am 27. April 2009]




Vegetarische Dystopie
?
Am Wochenende, 21. und 22. März, fanden weltweit und vielerorts Veranstaltungen unter der Überschrift MEAT OUT – LEBEN UND LEBEN LASSEN statt. Diese Fleisch-Ade-Bewegung wurde 1985 in den USA initiiert. Seitdem lassen immer mehr Veranstalter und Bürger in einem locker geflochtenen Aktionsbündnis ihre Phantasie spielen, damit zweierlei nicht mehr auf den Teller kommt: Fleisch und Fisch. Informationsstände, verteilte Rezepte und selbstgefertigte Leckerbissen sollen zum Nachdenken anregen und den Weg in die Fleischlosigkeit bahnen helfen. Es bedarf keiner tiefgehenden Gedankenexperimente und man muss nicht lange abschmecken, um zuzugestehen, dass eine vegetarische Ernährung für alle beteiligten Menschen und Tiere besser ist. Ökologische, ethische und gesundheitliche Aspekte sprechen dafür. Woran es fehlt, ist vor allem Willenskraft.

Wird indes weiterhin viel und in steigendem Maße Fleisch gegessen, so werden schon die Kindeskinder, etwa im Jahr 2099, keine Werbung mehr für den Vegetarismus zu machen brauchen. Das britische Wissenschaftsmagazin NEW SCIENTIST projiziert in das Jahr 2099 eine vegetarische Dystopie. Infolge der Klimaerwärmung und daraus resultierender Überschwemmungen dürfte die auf unserem Planeten für den Landbau verfügbare Fläche bis zum Ende dieses Jahrhunderts stark zurückgegangen sein. Die auf den verbleibenden Flächen angebauten Pflanzen werden vornehmlich der Ernährung von Menschen dienen. Kaum jemand wird noch der – rückblickend – unmenschlichen Idee anhängen: mit Getreide, das Menschen satt machen kann, Tiere zu mästen, um diese dann zu schlachten und zu verspeisen.

Tiere zu verspeisen, würde aber nicht erst in Zukunft inhuman sein, sondern ist es schon heute: Sie werden mit Getreide oder Sojabohnen gemästet, für deren Anbau in großem Stil Wälder vernichtet werden. Was wiederum entscheidend zur Erderwärmung beiträgt. Gerade sind in der Pampa Argentiniens etwa eine Million Rinder verdurstet. Dort wird jetzt Soja für die Fleischmast angebaut. Weil die Gier nach Fleisch unermesslich ist, wird die Zukunft schließlich erzwungenermaßen fleischlos sein. Wie groß der Unwille tatsächlich ist, sich menschlich zu ernähren, wird im Ausdruck vegetarische Dystopie manifest. Warum aber muss denn eine fleischlose Zukunft gleich als Negativutopie gesehen werden? Man kann es auch anders, positiv, wenden: Karneval – wörtlich: Enthebung vom Fleischgenuss – bezeichnete ursprünglich den Tag vor Beginn der Fastenzeit, jenen Tag, an dem man das letzte Mal Fleisch essen durfte. Die Zukunft wird ein nicht enden wollender Karneval der ungeborenen Tiere sein, ein ewiges Fleisch, lebe wohl!
[23.3.2009]





er
ist
tierlieb!

sie
isst
tier-
und
menschen-
freundlich.

wer
ist
besser?

Informationszeitalter Fleischzeitalter
Wir leben im Informationszeitalter. Niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte war es so leicht, an Informationen zu gelangen. Zugleich aber befinden wir uns im Fleischzeitalter. Wohlinformiert erbarmungslose Verbraucher bewirken durch ihre Einkäufe die brutale Haltung und Tötung von Billionen von Tieren und die Verschlechterung menschlicher Lebensgrundlagen. Hochrechnungen zufolge wird die Fleischproduktion von gegenwärtig 245 Millionen Tonnen im Jahr 2002 (Quelle: Fischer Weltalmanach 2006, S. 618) auf 465 Millionen Tonnen im Jahr 2050 ansteigen (von der Tragödie der Fische ganz zu schweigen). Wohlgenährte Konsumenten, denen ganze Supermarkthallen voller Obst, Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchte zu Gebote stehen, wollen es so.

Momentan werden 70 Prozent der im Amazonasbecken abgeholzten Waldgebiete als Weideland benutzt. Der Rest dient weitgehend dem Anbau von Futtermitteln. Der Mensch des Informationszeitalters weiß und möchte es so.

Zivilisiert sind Gesellschaften in dem Maße, in dem sie überflüssiges Leid unterbinden. Unzivilisiert jene Kulturen, die es sehenden Auges gleichgültig fördern.





















  [Warte-Schlange des Bösen, Stralsund, Mai 2009]

Ist die Freiheit zum Bösen gut? In den gesättigten Industrieländern hat jeder Wohlhabende und jeder Arme jeden Tag die Wahl, auf die Inkarnation des Schlechten - Fleisch - zu verzichten. Neun von zehn reihen sich dennoch in die Warteschlange des Bösen ein.

Mark Twain: The Mysterious Stranger
No brute ever does a cruel thing – that is the monopoly of those with the Moral Sense. When a brute inflicts pain he does it innocently; it is not wrong; for him there is no such thing as wrong. And he does not inflict pain for the pleasure of inflicting it – only man does that. Inspired by that mongrel Moral Sense of his! A Sense whose function is to distinguish between right and wrong, with liberty to choose which of them he will do. Now what advantage can he get out of that? He is always choosing, and in nine cases out of ten he prefers the wrong. There shouldn't be any wrong; and without the Moral Sense there couldn't be any. And yet he is such an unreasoning creature that he is not able to perceive that the Moral Sense degrades him to the bottom layer of animated beings and is a shameful possession.
[Hinzugefügt am 5. Juli 2009]


Dieter Forte, Daus Haus auf meinen Schultern
(Fischer Verlag, Ff/M 2003, S. 231f )
Noch schlimmer war es an Schlachttagen, wenn das quietschende Geschrei, das röhrende Geröchel der von den Metzgern mit entsetzlich langen Messern abgestochenen Schweine selbst durch die geschlossenen Fenster drang. Der den Magen umdrehende, im Hals würgende fette Schwaden der kochenden Wasserkessel auf dem Hof, der dumpfe Geruch des Blutes, das in kleinen schäumenden Bächen über den Hof floss, Pfützen bildete, die sich noch am selben Abend als Blutsuppe auf dem Teller wiederfanden, jauchzend begrüßt von denen, die den ganzen Tag durch die dunkelroten Pfützen gelaufen waren, deren Schuhe mit dem Blutrand vor dem Gesindehaus standen.
[Hinzugefügt am 1.1.2010]


Alfred Polgar: Das geschlachtete Kalb
In: Kreislauf. Kleine Schriften Band 2
Aus dem Gepäckwagen der kleinen Bahn laden sie für den Ortswirt an jedem Tag ein geschlachtetes Kalb aus. [...] Warum durft' es nicht aufwachsen zum Ochsen oder zur junoäugigen Kuh? Rastend läge es jetzt im sonnendurchwärmten Graskissen... Auch jetzt, wie es daliegt, hingemordet in der Kalbphase seines Erdenhüpfens, bietet es keinen üblen Anblick. (...) Den rührend gefalteten Pfoten ist tröstliche Transsubstantiation in Kalbshaxen gewiss. [...] Nur die Augen, die vorwurfsvollen, großen Kalbsaugen, sind durch keinerlei Zweckverwendung zu entsemtimentalisieren. Wenn es mich nicht graulte, würde ich hingehen und dem Bruder Kalb die Augen zudrücken. Aber es grault mich. So drücke ich meine Augen zu. Das ist auch eine Methode, über die Kreatur hinwegzukommen. Wohlgeordnet ist die Schöpfung. Eines dient dem andern. Der Mensch ist gut, aber das Kalb schmackhaft.
[Hinzugefügt am 19.12.2009]

Alfred Polgar: Der Hase
In: Kreislauf. Kleine Schriften Band 2
Sie schluckte trotzdem, die Schneidermeistersfrau, als sie von des Hasen Ende erzählte. Sie warf einen scheuen Blick zur Seite bei der Erzählung, als spüre sie, was das heißt, ein atmendes Wesen, einen unbeschreiblich rätselvollen, kompliziertesten, mit Gefühl, Bewegung, Gesicht, Gehör, mit allen heiligen Wundern des Lebens begabten Organismus zu vernichten, damit er von anderer Wesen Mäuler zerkaut und zu Nahrungsbrei eingespeichelt werden könne.
[Hinzugefügt am 19.12.2009]


Umberto Eco: Der Name der Rose
Als er die Halle gerade verlassen wollte, erhob sich im Hof ein markerschütternder Schrei wie von einem tödlich getroffenen Menschen, gefolgt von weiteren, ebenso grässlichen Lauten. „Was ist das?“, fragte William erschrocken. „Nichts“, erwiderte lächelnd der Abt. „In dieser Jahreszeit werden die Schweine geschlachtet. Die Metzger tun ihre Arbeit. Nicht dies ist das Blut, mit dem Ihr Euch zu beschäftigen braucht.“


Günter Grass: Die Blechtrommel

Matzerath, der für den Schweinebraten verantwortlich war, servierte die Platte eigenhändig, ließ das Jackett von sich fallen, schnitt hemdsärmlig Scheibe um Scheibe und machte ein solch zärtlich enthemmtes Gesicht über dem mürb saftigen Fleisch, dass ich wegblicken musste.


Romain Rolland: Jean-Christophe
Mais de milliers de bêtes  sont massacrées inutilement, chaque jour, sans l'ombre d'un remords. Qui y ferait allusion se rendrait ridicule. - Et cela, c'est le crime irrémessible. Á lui seul, il justifie tout ce que l'homme pourra souffrir. Il crie vengeance contre le genre humain. si Dieu existe et le tolère, il crie vengeance contre Dieu. S'il existe un Dieu bon, la plus humble des âmes vivantes doit être sauvée. Si Dieu n'est bon que pour les plus forts, s'il n`y a pas de justice pour les misérables, pour les êtres inférieurs offerts en sacrifice à l'humanité, il n'y a pas de bonté, il n'y a pas de justice...
[Hinzugefügt am 5. Juli 2009]


Jakob Wassermann: Caspar Hauser
Seit einiger Zeit hatte er aufgehört, Daumer zu duzen, und zwar ganz von selbst und eigentümlicherweise fast an demselben Tag, an welchem er zum ersten Male Fleisch genossen und danach krank geworden war.

Daumer erwiderte, er habe in letzter Zeit versucht, ihn an Fleischkost zu gewöhnen. „Zuerst hat er’s sich sehr gewehrt, auch hat es nicht den Anschein, als ob die veränderte Diät ihm sehr zuträglich sei. Es ist sogar zu befürchten, dass sie seine inneren Kräfte wesentlich vermindert. Er wird zusehends stumpfer.“
Eines Morgens kam sie dazu, als er in der Küche stand und Zeuge war, wie der Metzgerbursche das rohe und noch blutige Fleisch aus dem Korb nahm und auf die Anrichte legte. Eine unendliche Wehmut malte sich in Caspars Zügen, er wich zurück, zitterte und war keines Lautes fähig. Dann floh er mit bedrängten Schritten.


Agrippa von Nettesheim: Ungewißheit und Eitelkeit aller Künste und Wissenschaften

Die Tyrannei hat von der Jägerei ihren Anfang, denn sie hat keine besseren Erfinder haben können, als welche mit Marter und Totschlag der wilden Tiere, und mit Blutpfützen Gott und die Natur verachten gelernet haben. Doch haben die Könige in Persien die Jägerei, als ein scharfes Nachsinnen oder Vorübung zum Kriege zu gebrauchen, in Ehren gehalten; denn die jägerischen Streite und Kriege nahen was Grausames an sich, indem die Jäger an den räuberischen Hunden, an den preisgegebenen wilden Tieren, am Blutvergiessen und am Zerreissen der Kaldaunen ihre Lust büssen, und oftermals so einen schändlichen und harten Tod mit höchster Lust, als wann es nur ein Scherz wäre, anschauen. Der greuliche Weidmann lachet dazu und nimmet mit seinem Hundeheer und Jägernetzen den unglückseligen Raub, wie einen wahren Triumph, als wann er den grössten Teil der Welt überwunden hätte, mit nach Hause; und da gehet erst das rechte Schinden an, und da muss nun das arme wilde Tier mit sonderlichen Handgriffen, mit gewissen Weidsprüchen und mit vorgeschriebenen Worten (denn so und nicht anders muss man hier reden) ausgeweidet und geschunden werden.

[...]
Esau war ein Jäger, weil er ein Sünder war. In der Heiligen Schrift wird des Wortes Jäger niemals im Guten gedacht, derowegen wird niemand daran zweifeln, dass die Jägerei böse sei, weil sie von allen Heiligen und Weisen für böse ist ausgerufen worden. Für Alters, als die Menschen im Stande der Unschuld lebeten, da flohen die wilden Tiere nicht vor ihnen, taten ihnen auch keinen Schaden, sondern waren ihnen alle untertan und gehorsam. Dessen Exempel haben wir auch in nachkommenden Zeiten erfahren, bei denen Leuten, die ein heilig und fromm Leben geführet haben. Danielen widerfuhr kein Leid in der Löwengrube, die Schlange konnte dem Apostel Paulo keinen Schaden tun, Heliam den Propheten, Paulum und Antonium den Eremiten, hat ein Rabe, und Aegidium eine Hindin ernähret.


Thomas Hardy: Jude the obscure
The animal's note changed its quality. It was not now rage, but the cry of despair; long-drawn, slow and hopeless.
»Upon my soul I would sooner have gone without the pig than have had this to do!« said Jude. »A creature I have fed with my own hands.«
»Don't be such a tender-hearted fool! There's the sticking-knife - the one with the point. Now whatever you do, don't stick un too deep.«
»I'll stick him effectually, so as to make short work of it. That's the chief thing.«
»You must not!« she cried. »The meat must be well bled, and to do that he must die slow. We shall lose a shilling a score if the meat is red and bloody! Just touch the vein, that's all. I was brought up to it, and I know. Every good butcher keeps un bleeding long. He ought to be eight or ten minutes dying, at least.«
»He shall not be half a minute if I can help it, however the meat may look,« said Jude determinedly. Scraping the bristles from the pig's upturned throat, as he had seen the butchers do, he slit the fat; then plunged in the knife with all his might.

»'Od damn it all!« she cried, »that ever I should say it! You've over-stuck un! And I telling you all the time --«
»Do be quiet, Arabella, and have a little pity on the creature!«
[…]
The dying animal's cry assumed its third and final tone, the shriek of agony; his glazing eyes riveting themselves on Arabella with the eloquently keen reproach of a creature recognizing at last the treachery of those who had seemed his only friends.



Virginia Woolf: The Waves
Lord, how unutterably disgusting life is! What dirty tricks it plays us: one moment free; the next, this. Here we are among the breadcrumbs and the stained napkins again. That knife is already congealing with grease. Disorder, sordidity and corruption surround us. We have been taking into our mouths the bodies of dead birds.

(Das Zitat birgt eine tiefe philosophische Wahrheit: Der Tod eines Vogels ist das irreversible Ende der Existenz dieses Lebewesens. "Ist" der Vogel tot, so verbleibt sein Körper. Gestorben und somit tot ist nicht der Körper, sondern der zuvor lebendige Vogel. Am Tisch werden keine toten Vögel verspeist, sondern die Körper toter Vögel. In dieser Weise gibt es keine Toten, sondern nur die Körper - Leichen - Verstorbener)





  Erlesene Wurstspezialitäten aus Vorpommern
  [Stralsund, Mai 2009]

Max Dauthendey (1867-1918)
Neun Pariser Moritaten


Der Metzgerlehrling Paul
Schön und nicht nur obenhin
Schien dem Paul die Metzgerin.
War er auch der Lehrling nur,
Trug er doch schon Schnurrbartspur.

An der blut'gen Schlächterbank
Machten ihn zwei Augen krank.
Schlug er Kälber ins Genick,
Leicht trug er den Todesblick.

Doch das Aug' der Metzgerfrau
Machte ihm den Blick voll Tau.

Und der Schleifstein fiel ihm hin,
Dran ers Messer sollt' abziehn.

Eingeweid' kroch um ihn her,
Kalb und Schwein verwechselt er.
Sieht die Metzgerin ihn an,
Unser Paul gleich sterben kann.

Und mal, mittags war's, im Laden
Seine Lehrlingskameraden
Neckten ihn: er wär' wie Teig,
Und vielleicht im Grunde feig.

Sie
saß grade an der Kassen,
Und der Paul, er mußt' erblassen:
»Wollt Ihr einen Spaß schnell sehn?«
Rief er, tat das Messer drehn.

Stieß sich's bis ans Heft ins Herze
Und fiel um, bleich wie 'ne Kerze.
Denn er wußte schrecklich gut,
Nur der Tod beweist den Mut.

Was half's, daß die Metzgerin
Tausend Schreie schreit um ihn!
Nichts mehr seine Leiche rührte,
Wenn er's noch so gern auch spürte.



Die Schlachtung der Zukunft
Nehmen wir einmal an, Sie mögen Rot lieber als Grün und ich mag Grün lieber als Rot. Kann ich Ihnen Ihre Vorliebe zum Vorwurf machen? Kann es schlecht sein, Rot lieber zu mögen als Grün? Wohl kaum. Und so lange von Ihrer Vorliebe für Rot niemand negativ betroffen ist, ist es in den meisten Belangen moralisch gleichwertig, ob Sie Rot oder Grün den Vorzug geben. Liegt in Ihrem Wohnzimmer ein roter Teppich aus, so werden sich schwerlich ethische Argumente finden, mit denen sich begründen ließe, dass diese im Bodenbelag manifestierte Vorliebe für Rot unmoralisch ist (es sei denn, der Teppich wurde von Menschen geknüpft, die zu Hungerlöhnen arbeiten müssen).

Ähnlich verhält es sich, wenn wir annehmen, dass Sie – wie auch ich – den Geschmack von Fleisch und Fisch gern mögen. Niemand kann uns dies zum Vorwurf machen. Moralisch bedenklich ist es hingegen, wenn wir unserer Vorliebe nachgehen, das heißt, wenn wir Fleisch und Fisch essen. Der Verzehr von Tieren ist nicht in der Weise moralisch gleichgültig, wie das Auslegen eines roten Teppichs im Wohnzimmer. Es ist nicht schlecht von mir, einen grünen Teppich zu kaufen, obwohl Sie Rot besser finden. Anders stehen die Dinge, wenn wir annehmen, dass ich Tiere verzehre und Sie nicht. Tierkonsum ist nicht in der Weise moralisch gleichgültig, wie eine Vorliebe für die Farbe Grün. Es ist nicht schlechter, grüne Teppiche zu kaufen als rote, aber es ist schlechter, Tiere zu verzehren, als sich vegetarisch zu ernähren. Verzehren wir Tiere statt pflanzlicher Produkte, so gibt es negativ Betroffene. Kaufe ich grüne statt rote Auslegeware, so ist dies normalerweise nicht der Fall.
Die Betroffenen des Tierverzehrs sind zunächst einmal die gemästeten, gemarterten und erstickten Tiere, über deren Lebens- und Sterbensbedingungen uns das Fernsehen jahrein jahraus in zahlreichen drastischen Dokumentationen informiert. Rinder und Schweine, die auf den Verkehrsadern der Nationen – neugierigen Blicken der Autobahnfahrer weitestgehend entzogen – in die Tötungslager gefahren werden. Fische, die man zum Ersticken aus den Tiefen der Meere der Meere an Deck befördert. Betroffene sind zum anderen aber auch all die Menschen, die durch die globale Produktion und Verteilung von Fleisch ihre Lebensgrundlagen, Lebenswelt und Zukunft verlieren. Mit den Tieren wird zugleich auch eine lebenswerte Gegenwart und Zukunft geschlachtet.

Mit dem Erwerb eines Stückchens Fleisch wird Leid von Mensch und Tier in Kauf genommen und sodann, gleichsam als Leidschlacke, verspeist. Freiwillig und obwohl es zum Mordsgeschäft wie zum Leidgerinsel auf dem Teller eine Alternative gibt: Die vegetarische Ernährung. Die vegetarische Ernährung ist in aller Munde. Und doch fahren zahllose Menschen fort, geronnenes Leid zu verspeisen. Sie bestellen es in vornehmen Restaurants, lassen es von Kellnern lobpreisen und mischen es ihren Kindern zu Hause als Hack in die Nudelsoße – deren Existenzbedingungen sie mit dem Fleischkonsum zugleich unterminieren. Und indem sie die Endprodukte der großen Kette des Leidens kaufen, senden sie eine für die Fleischindustrie frohe Botschaft aus: Mach es noch einmal, von Geburt an, bis zum blutigen Ende!
Damit das Fleisch den Tieren in einem fort als Lebendmasse aufgefoltert und nach zumeist grauenhaftem Lebensende auf unsere Teller verbracht werden kann, werden weltweit Milliarden Nutztiere gehalten. Auf diesem Planeten leben circa 1,3 Milliarden Rinder, eine Milliarde Schweine, 1,8 Milliarden Schafe und Ziegen sowie 13 Milliarden Hühner. Nicht alle dienen der Fleischgewinnung und dem Gewinn, der sich mit Fleisch erzielen lässt. Aber die Verquickung von Fleisch und Leid ist nicht von der Hand und nicht vom Teller zu weisen. So verdoppelte sich die Zahl der Rinder in der brasilianischen Region Amazonien von 1990 bis 2002 auf mehr als 50 Millionen Tiere. Ihr Fleisch soll den wachsenden Weltfleischhunger decken. Geht es so weiter, könnte Brasilien schon bald zum größten Rindfleischexporteur der Welt entarten. Bereits jetzt stammen 80% des in die EU eingeführten Rindfleisches aus Südamerika. Die Entartung – im wahrsten Wortsinne – schreitet rapide voran, weil Brasiliens artenreicher Urwald in einer parallelen Entwicklung zu Anbauflächen für Soja verbrannt wird. Soja, welches etwa in der EU und China für die Tiermast benötigt wird, auf das noch mehr Fleisch gegessen werden kann.

Tatsächlich ist der Fleischverzehr noch klimaschädlicher als das Herumfahren in Autos. Wer regelmäßig Fleisch erwirbt oder verzehrt, gibt nicht bloß Geld dafür aus, dass eine neue Generation von Tieren gepeinigt wird. Auf sein Konto geht auch der Ausstoß von jährlich 1500 Kilogramm mehr Kohlendioxid als bei Vegetariern der Fall. Zu diesem Ergebnis gelangten Wissenschaftler der Universität Chicago, als sie die Kohlendioxid-Intensität einer vegetarischen Ernährung mit einer fleischreichen Ernährungsweise verglichen, wie sie in den USA vorherrscht. In die Kalkulation gingen zahlreiche Faktoren ein, angefangen von der Mästung, über die Verarbeitung und Verteilung, bis zur Zubereitung des Fleisches. Wer hiervon und damit von der Finanzierung milliardenfacher Tierquälerei Abstand nimmt, trägt zur Reduzierung des Ausstoßes von Kohlendioxid mehr bei als jemand, der sich ein benzinsparendes Auto kauft.

Größtenteils sind die hier nur angedeuteten Zusammenhänge sattsam bekannt. Und doch kaufen Menschen mit dem Fleisch, welches sie verspeisen und an ihre Nachkommen verfüttern – auf dass sie groß und stark werden – die Zukunft zuschanden. Die Zukunft einer fleischfressenden Menschheit aber sieht aus wie Fleisch in umgeschminktem Zustand: Gräulich.



Exiltibeter starben an Fleisch und Fett
Auf seinen Netzseiten sucht ein Hamburger Tibet-Restaurant Missverständisse im Vorwege auszuräumen, indem es verkündet: „Tibeter sind keine Vegetarier – sie würden in der Höhe ohne Fleisch- und Fettnahrung erfrieren – und nicht alle Tibeter sind Mönche. Diese Vorbemerkung scheint notwendig, weil dieses falsche Bild der Tibeter immer wieder auftaucht.“ Dass man dort, wo es keine pflanzliche Nahrung gibt, verhungert, wenn man auf pflanzlicher Nahrung besteht, klingt einleuchtend. Von einem geringen Maß an „Erleuchtung“ hingegen zeugt der Umstand, dass der Dalai Lama die in Indien lebenden Exiltibeter zwar dazu anhielt, dem Klima des Gastlandes Rechnung zu tragen und den Fleisch- und Fettkonsum zurückzuschrauben. Wie uns die Netzseiten des Tibet-Restaurants informieren, schlugen die Exiltibeter diese Empfehlung ihres geistigen Oberhauptes jedoch in den Wind und starben stattdessen zu Tausenden an Fleisch und Fett – ein Bestandteil ihrer kulturellen Identität.
Das Restaurant selbst offeriert seinen Gästen - fern jeder Praxis der Erlösung und Leidverminderung - neben vegetarischen Gerichten: Fleisch und Fett.


Philosophie: Eher eine fleischlose denn eine brotlose Kunst
Erstaunlicherweise sind viele Zeitgenossen nach wie vor der Auffassung, Philosophie sei nicht nur eine brotlose Kunst, sondern überdies ohne jeden Belang für das Leben. Man verwechselt sie gern mit belanglosen Ohrensessel-Weltanschauungen. Philosophie wäre damit wie ein Gang durch ein Museum, in dem man bald diesem, bald jenem Meisterwerk den Vorzug gibt.
    Bisweilen wird sodann mit Erschrecken zur Kenntnis genommen, dass die Ergebnisse philosophischen Argumentierens – und das heißt: vorbehaltlosen Argumentierens – für jeden von uns wie auch für zahlreiche andere lebende Wesen von erheblichem Belang sind. Kehrt sich die eben noch angeprangerte vermeintliche Bedeutungslosigkeit philosophischen Argumentierens in moralisches Sollen um, ist man plötzlich gern bereit, in der eben noch gescholtenen brotlosen Kunst einen den eigenen Lebenswandel überfordernden moralischen Anspruch zu erkennen.
    Zur Philosophie gehört weniger die notorische Brotlosigkeit, als vielmehr eine zu fordernde Fleischlosigkeit.


Hummer
Wer durch sein Verhalten dafür sorgt, dass empfindenden Wesen Leid zugefügt wird, rechtfertigt sich zumeist mit der Äußerung, die meisten anderen täten es ja schließlich auch. Tun, was die anderen machen – eine Denkfigur, aus der jene Diktaturen geschnitzt sind, in denen sich stets genügend Freiwillige finden, die andere Menschen zu Tode zu martern.
In Demokratien kommt das freiwillige Zu-Tode-Martern empfindender Wesen selten vor. Stall- und Schlachtknechte werden bezahlt für das, was sie Tieren antun, stehen im Dienst der Konsumenten. Vielleicht sind Hummer die einzigen Tiere, die lebendig auf dem Küchentisch landen. Feinschmecker erstehen sie gegen gutes Geld, um das Privileg zu erwerben, sie lebendig in kochendes Wasser zu tauchen. Über den satanischen Charakter dieser Handlung setzt ein Gourmet sich folgendermaßen hinweg:
“They move about when you chuck them in boiling water. They don’t want to die. If we mechanise their murder, does that make it less cruel? To be honest, I don’t worry about the pain of lobsters as much as I worry about overcooking them.”
[Tim Dowling, Guardian Weekly, May 19-25 2006, S. 15]
Die Bewirkung derart überflüssigen und infam begründeten Leids kündet nicht gerade von moralischem Fortschritt und demonstriert, wie durchlässig die Zäune der Zivilisation sein mögen.
(20. November 2006)  




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